Wing Chun Kung Fu
Geschichte
Wing Chun (chin., schöner Frühling) ist eine von über 500
verschiedenen Kampfkunststilarten des Gong Fu (Kung Fu). Entwickelt wurde
es über Hunderte von Jahren und hat seine Wurzeln im berühmten Shaolin-Kloster.
Zur Entstehungsgeschichte des Wing Chun, einer chinesischen Kampfkunst, existieren
zwei verschiedene Überlieferungen. Dabei ist zu beachten, dass solchen
Überlieferungen eher der Status einer Legende zukommt, da sie in der
Regel auf wissenschaftlich nicht belegbaren Aussagen oder Spekulationen beruht.
Wurzeln im nördlichen China
Während der Kanghsi-Regierung der Qing-Dynastie (1662-1722) waren die
Anhänger des Shaolin-Kung-Fu Stiles wegen ihrer Kampfkunst so berühmt,
dass die Qing-Regierung sich Sorgen machte und beschloss, die Mönche
zu töten und das Kloster am Sung-Berg der Honan-Provinz in Zentral-China
zu vernichten. So wurden Soldaten mit dem Befehl ausgesandt, das Kloster zu
zerstören und die Religionsgemeinschaft auszulöschen. Aber die Mönche
des Shaolin-Klosters leisteten so starken Widerstand, dass selbst nach langem
und hartem Kampf das Kloster noch immer unversehrt war. Chan Man Wai, der
bei der Beamtenprüfung als Bester des Jahres abgeschnitten hatte, wollte
sich bei der Regierung einen Namen verschaffen, und trug ihr seinen Plan vor.
Um den Plan durchzuführen, verschwor er sich mit einigen Mönchen
des Shaolin-Klosters. Der wichtigste von ihnen hieß Ma Ning Yee, der
sich überreden ließ, seine eigenen Kameraden zu verraten, indem
er hinter ihrem Rücken das Kloster in Brand steckte. Auf diese Weise
gelang es schließlich doch, das Shaolin-Kloster abzubrennen. Die meisten
Mönche und Laien, die sich auf die Kampfkunst verstanden, kamen ums Leben.
Dennoch gelang es manchen Kämpfern zu entkommen. Zu diesen gehörten
die Fünf Älteren, die Führer der fünf Shaolin-Stile, die
buddhistische Meisterin und Ng Mui, Meister Chi Shin, Meister Pak Mei, Meister
Fung To Tak, und Meister Miu Hin und ihre Schüler, besonders Hung Hay
Kwun, Fong Sai Yuk und Luk Ah Choy. Einer der fünf Älteren, der
Meister Chi Shin, der auch Abt war und vor dem Brand die meisten Schüler
besaß. Nach der Zerstörung des Shaolin-Klosters trennten sich die
Überlebenden, um den Nachstellungen der Manchu-Regierung leichter zu
entkommen. Meister Chi Shin nahm zum Beispiel eine Tarnidentität als
Koch auf einer "Roten Dschunke" an. (als "Rote Dschunke"
wurden die Transportschiffe einer Operntruppe bezeichnet, die üblicherweise
mit roter Farbe gestrichen und bunten Fahnen geschmückt waren). Die Nonne
Ng Mui ließ sich im Weißen Kranich Tempel am Tai Leung-Berg nieder.
Dort konnte sie sich ungestört der Kampfkunst und dem Zen widmen.
Die Entwicklung des Wing Chun
Um sich gegen ihre Verfolger zu verteidigen beschloss Ng Mui das
Shaolin-Kung-Fu zu verbessern. Lange Zeit überlegte Ng Mui, wie sie eine
neue Kampfkunst entwickeln könnte, die auch einen schwächeren Menschen
(sie selbst war schließlich auch nicht mehr die jüngste) befähigen
würde, einen in klassischen Kampfkünsten Trainierten zu besiegen.
Die Legende sagt, dass sie die entscheidende Inspiration hatte, als sie einen
Kampf zwischen einem Kranich und einer Schlange beobachten konnte. Die Schlange
schlängelte um den Kranich herum, in der Hoffnung, einen tödlichen
Angriff gegen dessen ungeschützte Flanke anbringen zu können. Der
Kranich drehte sich stets so, dass seine Brustseite unverwandt der Schlange
zugewandt war. Jedesmal, wenn die Schlange dem Kranich zu nahe kam und ihn
angreifen wollte, wehrte der Kranich mit einem Flügel ab und führte
gleichzeitig einen Gegenangriff mit seinem Schnabel. Während der Kranich
also mit den Schwingen abwehrte und mit dem Schnabel konterte, verließ
sich die listige Schlange auf die Schnelligkeit und auf Überraschungsangriffe.
Wie dieser Kampf endete war nicht von Bedeutung. Ng Mui aber entwickelte aus
den daraus gewonnenen Ideen ein neues Kampfkunstsystem. Die vornehmlichsten
Unterscheidungsmerkmale des neuen Systems von Ng Mui zum Shaolin-Kung Fu waren
die einfacheren und anpassungsfähigeren Bewegungen, die Praxisbezogenheit
und der ökonomischere Krafteinsatz. Ng Muis System zielte darauf ab den
Gegner mit Methode statt mit Kraft zu besiegen.
Die Shaolin-Nonne und ihre Schülerin Yim Wing Chun
Am Tai-Leung-Berg machte Ng Mui die Bekanntschaft mit einem gewissen Yim Lee
und dessen Tochter Wing Chun, was so viel bedeutet wie "schöner
Frühling". Diesem jungen Mädchen hat das System der Nonne Ng
Mui angeblich auch seinen wohlklingenden Namen zu verdanken. Zu jener Zeit
lebte Ng Mui im Weißen Kranich-Tempel am Tai Leung-Berg. Dort pflegte
sie mehrere Male im Monat den Marktplatz des nahen Dorfes zu besuchen, um
einzukaufen. An einem Stand verkaufte das junge Mädchen Yim Wing Chun
mit ihrem Vater Tofu. Die beiden waren aus ihrer Heimat in der Kwantung-Provinz
geflüchtet, da ihr Vater unglücklicherweise in eine Gerichtssache
verwickelt war (man sagt unschuldig), die ihm das Leben hätte kosten
können. Als Schüler des Shaolin-Klosters hatte er, Yim Lee, einige
Kampftechniken erlernt und sorgte in seiner Gegend für Gerechtigkeit,
wenn es sich als nötig erwies. Dadurch geriet er in Schwierigkeiten,
die ihn zwangen seine Heimat zu verlassen und an die Grenze der Provinzen
Szechwan und Yunnan zu fliehen und sich am besagten Tai Leung-Berg niederzulassen.
Yim Wing Chun entwickelte sich zu einem aufgeweckten und hübschen Mädchen.
Ihre Schönheit und ihr freundliches Wesen sollten aber auch die Ursache
für ein schlimmes Problem werden. Im Ort gab es einen notorischen Schläger
namens Wong, der ständig Streit suchte. Aber die Dorfbewohner konnten
ihm nichts anhaben, da er ein Kung Fu-Experte war und einer Geheimgesellschaft
angehörte. Angezogen von der Schönheit Yim Wing Chun hielt er um
ihre Hand an. Doch Wing Chun war schon als kleines Kind dem Jüngling
Leung Bok Chau, einem Salzkaufmann aus Fukien versprochen. Wong schickte ihr
daraufhin einen Boten, setzte ihr eine Frist und drohte Gewalt anzuwenden,
falls sie sich ihm verweigerte. Vater und Tochter lebten also in großer
Sorge um ihre Zukunft. Ng Mui war im Laufe der Zeit zur regelmäßigen
Kundin von Yim Lee und seiner Tochter geworden und unterhielt sich oft mit
den beiden. Eines Tages erkannte sie, dass die beiden von großen Sorgen
gequält wurden. Auf ihre Fragen erzählte ihr Yim Lee von Wong. Da
Ng Mui einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte, beschloss sie Wing
Chun zu helfen. Aber sie wollte den Bösewicht nicht selbst bestrafen,
da sie einerseits nicht ihre Tarnidentität aufgeben wollte, andererseits
wäre ein Kampf zwischen ihr, der berühmten Meisterin aus dem Shaolin-Kloster
und einem unbekannten Dorfschläger unfair und ruhmlos gewesen. Deshalb
wollte sie Yim Wing Chun helfen, indem sie ihr die Kunst des Kämpfens
mit ihrem neuen Kampfsystem beibrachte. Nach nur drei Jahren Privatunterricht
hatte sie die ihr gezeigte Methode gemeistert. Ng Mui schickte sie nach der
Ausbildung im Weißen Kranich-Tempel wieder zurück zu ihrem Vater.
Kaum kehrte Wing Chun ins Dorf zurück, wurde sie wieder von dem Schläger
Wong bedrängt. Doch dieses Mal lief sie nicht vor ihm davon, sondern
forderte ihn zum Kampf auf. Der Rowdy war sich seines Sieges sicher und freute
sich darauf, das schöne Mädchen endlich zu erringen. Aber er sollte
sich getäuscht haben, denn Wing Chun schlug ihn zu Boden, wo er hilflos
liegen blieb. Nachdem Wing Chun den Schläger ohne Probleme besiegt hatte,
setzte sie ihre Kampfübungen fort. Als Ng Mui beschloss, wieder weiterzureisen
ermahnte sie Wing Chun, einen würdigen Nachfolger zu finden und nur die
richtigen Schüler zu unterweisen. Diese Mahnung wurde auch von den folgenden
Generationen befolgt
Stilart, Formen & Waffen
Zur Charakteristik des Stils kann allgemein gesagt werden, dass alle Techniken
auf ihre Wirkung hin maximiert worden sind. Die Bewegungen sind meist kurz
und gradlinig oder angedeutet spiralförmig. Der Einsatz von Kraft ist
differenziert zu anderen Kung Fu-Stilen zu sehen: es wird in der Regel keine
reine Muskelkraft verwendet, sondern eine Mischung aus Gewichtsverlagerung
(Schrittechniken), spontaner Gelenksbewegung (so genannter Peitschenkraft)
und einem kleinen Anteil von Muskelkraft.
Ein typisches Element einiger Wing Chun-Stile ist der Kettenfaustschlag, von
denen ein geübter Wing-Chun-Kämpfer ca. 8-10 Schläge pro Sekunde
ausführt. Dieser Kettenfaustschlag wird von manchen Verbänden missbraucht,
um den Schüler lange Zeit damit zu beschäftigen ohne ihm ausgeklügelte
Kombinationen wie fortgeschrittenes Chi Sao und die Übergänge der
höheren Lap-Sao-Varianten zu vermitteln. Der Kettenfauststoß als
Dogma mancher Verbände kann - muss aber nicht zwingend - auf eine Salamitaktik
bei der Vermittlung von Wissen hindeuten.
Die Kraft des Gegners wird durch die Anwendung von Winkel- und Drehprinzipien
neutralisiert und gegen ihn verwendet (Gleichzeitigkeit von Angriff und Abwehr),
d.h. während ein Schlag abgewehrt wird, erfolgt ein Angriff. Es gilt:
Der Angriff ist die Verteidigung. Ein Schlag des Gegners wird so z.B. durch
einen konternden Gegenschlag abgewehrt.
Der Stil ist auch durch seine Trittarbeit charakterisiert, die nur sehr wenige
Grundtritte umfasst und mit der im Allgemeinen nur niedrige Ziele (bis Hüfthöhe)
angegriffen werden. Ein Ziel dieser Tritte sind insbesondere das Kniegelenk
und der Oberschenkelansatz des Gegners (um das Gelenk aus der Hüftpfanne
springen zu lassen). Allerdings ist Wing Chun realistisch genug, um davon
auszugehen, dass nicht jeder Tritt optimal sitzt und jeder Treffer besser
als kein Treffer ist.
Chi Sao
Besonders an Wing Chun ist auch das Chi Sao, diese Übung wird auch manchmal
als "Seele des Wing Chun" bezeichnet. Hierbei werden die Einzel-Techniken
aus den Formen sinnvoll miteinander kombiniert. Sind die Formen das "Alphabet",
so lernt man beim Chi Sao erst "Wörter" und dann "ganze
Sätze" zu bilden. Das Chi Sao trainiert außerdem die Standfestigkeit
und Balance, die Reflexe und den richtigen Abstand zum Gegner in der Nahdistanz.
Waffen
Wing Chun war ursprünglich eine Kampfkunst ohne Waffen. Doch schon im
späten 17. Jahrhundert erweiterten Wong Wah Bo (Schüler des Shoalin
Mönch Ji Sin) und Leung Yee Tai (Schüler des Ehemannes der Stilgründerin
Yim Wing Chun) den Kung-Fu Stil um 2 Waffenformen.
• Lang Stock (Luk Dim Boon Kwun)
• Kurz Schwerter (Baat Jam Do / Dao)
Beide konnten gut mit diesen Waffen umgehen und passten die Übungen und
Formen den Idealen von Wing Chun an. (So wurde zum Beispiel in die Lang Stock-Form
der Aspekt der Zentrallinie eingebracht.)